HEIDEMARK: „Zukunftsgerechte Tierhaltung“

NRW-Ministerin Silke Gorißen: „Da steht viel auf der Kippe“

Um „Zukunftsgerechte Tierhaltung“ ging es auf einer Konferenz in Berlin, zu der HEIDEMARK am 21. Februar 2024 eingeladen hatte. Unternehmenschef Christopher Kalvelage begrüßte im F.A.Z. Atrium in der Hauptstadt Regierungsvertreter:innen, Abgeordnete, NGOs, Wissenschaftler:innen, Tierärzte, Abgesandte von Landwirtschaft, Handel und Medien. Dieses breite Spektrum von Teilnehmenden garantierte über mehr als vier Stunden eine spannende, zum Teil kontroverse Diskussion, die anschließend beim Networking noch intensiv fortgesetzt wurde. 

Christopher Kalvelage offenbarte gleich zu Beginn in seiner Begrüßungsansprache, wo der Kern des Problems in der Transformation hin zu einer tiergerechten und nachhaltigen Tierhaltung zu finden ist. „Theorie und Praxis klaffen weit auseinander“, sagte er. „Das zeigen ja ganz deutlich die Bauernproteste in diesen Wochen.“ Wenn die Politik das umsetze, was das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft auf seiner Website aufschreibe, sei man ja auf dem richtigen Weg. „Aber leider passiert nichts oder genau das Gegenteil“, so Kalvelage. Für ihn ist „die Kreislaufwirtschaft der Kern der Nachhaltigkeit“.

Christian Rehmer von der Berliner Denkfabrik Agora Agrar fokussierte sich zunächst auf das Thema Klima und Landwirtschaft. Eine Klimaneutralität, wie sie Deutschland schon 2045 erreichen möchte – „das ist schon übermorgen“ - , sei für die Produktionsprozesse in der Landwirtschaft nicht zu erreichen. Aber die Tierhaltung könne für die Reduktion viel dazu beitragen. „Der Nutztierbestand muss auf jeden Fall reduziert werden“, so seine Forderung. „Das führt zu gravierenden Folgen für Erzeuger, also Bauern, und Verarbeiter, die Fleischwirtschaft. Vor allem die klimabelastende Rinderwirtschaft könnte durch verstärkte Nutzung von Grünland zum Klimaschutz beitragen. Doch nicht alle Wiederkäuer könnten durch Grün ernährt werden. Rehmers Vorschlag ist, die Fütterung durch Abfälle zu intensivieren und die Ackerflächen für den Futtermittelanbau zu reduzieren. Eine Abkehr von Fleisch hin zu veganer Ernährung steht allerdings nicht auf seiner Agenda. „Es geht nicht darum, den Menschen vorzuschreiben, was sie essen!“

An dem Punkt setze Nachfolgeredner Prof. Dr. Wilhelm Windisch von der Technischen Universität München (TUM) an. „Für ein Kilogramm biologische Lebensmittel werden vier Kilogramm nicht essbare Biomasse produziert.“ Windisch, ein exponierter Vertreter einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft, sagte: „Effizient ist es, diese gewaltige Biomasse in der Biogasanlage zu verwerten oder an Nutztiere zu verfüttern. Wir brauchen dazu Wiederkäuer.“ Eine komplette vegane Landwirtschaft benötige 50 Prozent mehr Ackerfläche, und zum Beispiel mehr Wasser und mehr Dieseltreibstoff für die Traktoren. Das könne nicht das Ziel sein. Denn schon allein eine solche Fläche stünde in Deutschland nicht zur Verfügung. „Wir wären von Importen abhängig, um die menschliche Ernährung zu gewährleisten.“
Wohin theoretisch aufgesetzte gesetzliche Regelungen in der Tierhaltung nach Umsetzung führen können, beschrieb Nordrhein-Westfalens Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen. „Kükentöten ist ethisch nicht akzeptabel“, sagte die Ministerin, aber wie die Geschlechtsbestimmung vor der Geburt dann in Deutschland angegangenen worden ist, sei „gut gedacht, aber schlecht gemacht“ gewesen. Heute sei es so, dass die Brütereien ins Ausland verlagert würden, in Nordrhein-Westfalen sei nach der gesetzlichen Regelung von ursprünglich 15 Betrieben nur noch einer übriggeblieben. „Das kann ja nicht das Ziel sein.“

Grundsätzlich sieht die CDU-Politikerin die Landwirtschaftspolitik auf einem riskanten Pfad. „Es ist 5 vor 12“, sagte die NRW-Ministerin. „Da steht viel auf der Kippe.“ Die Sorgen der Bauern um ihre Zukunft in Deutschland nimmt sie ernst. Gorißen: „Landwirte brauchen Planungssicherheit, sonst verlieren wir unsere Betriebe.“ In Richtung der Putenhalter sagte sie unter Hinweis auf die geplante Haltungsverordnung nach einem Eckpunktepapier aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium: „Es ist keinem damit gedient, wenn das Geflügelfleisch demnächst aus dem Ausland importiert wird“, wo die Tiere möglichweise unter schlechteren Bedingungen aufwachsen.

Der Tierarzt und Putenexperte Dr. Hartmut Meyer setzte genau an diesem Punkt an: „Das Eckpunktepapier ist ein Regelwerk, das seinesgleichen sucht in Europa.“ Er fände es bedenklich, wenn Politik versuche, Markt zu machen. Dr. Alexander Hinrichs, Geschäftsführer von QS (Qualität und Sicherheit) und ITW (Initiative Tierwohl), der mit seinen Organisationen in den vergangenen Jahren enorm viel für das Tierwohl in deutschen Ställen getan hat, stellt eine Frage offen in den Raum: „Reicht das nicht aus, was wir haben? Wir wollen das Tierwohl in kleinen Schritten voranbringen, damit die Verbraucher sich ökonomisch anpassen können.“ Dr. André Vielstädte, Vorstand der EW-Group, stützte seinen Kurs: „Die ITW ist ein Erfolgsmodell. Diesen Weg sollten wir heute mit den richtigen Anreizen fortsetzen.“ Hinrichs fürchtet, dass die Politik eine höhere Qualität produzieren will, als der Kunde bezahlen will und kann. „Wir brauchen keinen Bio-Standort.“ Gastgeber Christopher Kalvelage nahm in seinem Schlusswort die Vorlage auf und sagte: „Wir müssen produzieren, was der Kunde verlangt.“

Bildunterschrift: NRW Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen gemeinsam mit Christopher Kalvelage, dem geschäftsführenden Gesellschafter von HEIDEMARK bei der Konferenz „Zukunftsgerechte Tierhaltung“ im F.A.Z. Atrium, Berlin.